Nähe ist möglich, wenn Liebe erfinderisch ist. Klinikseelsorge in Zeiten von Corona

23. Februar 2021

Eine Zusammenfassung des aufgrund der Coronaverordnung abgesagten Vortrags von Dr. theol. Zimmermann-Wolf

Zu Beginn ein Gedankenexperiment: Wie würden Sie Ihr jetziges Verhalten ändern, wenn Sie erfahren würden, dass die Corona-Krise noch einige Jahre dauern würde? Vermutlich würden Sie das Schielen auf das nahe Ende der jetzigen Einschränkungen – zumindest etwas – reduzieren. Und sie würden sich mit Ihrer Aufmerksamkeit auf das richten, was im Moment möglich ist: Die Gefahr einer Erkrankung möglichst klein halten und gleichzeitig so lebendig wie möglich zu sein. Und wenn Sie mit kranken Menschen zu tun haben, die Sie gerne haben und denen Sie Nähe schenken möchten, werden Sie wohl versuchen, diesen irgendwie nah zu kommen, ohne ihnen die Krankheit zu bringen. Das Schlimmste aber wäre, wenn Sie nur auf die Krankheit fixiert wären und von lauter Angst vor dem Virus sich nicht auf den Weg machen, Nähe neu zu erobern, nach dem Motto: „A bissel was geht immer!“

Nähe kann man sogar mit einer medizinischen Maske anstoßen. Man kann auf die Maske ein Lächeln malen. Und man stellt fest: dieses Lächeln steckt an. Also nicht nur der Virus ist ansteckend, ein Lächeln ist es auch und zaubert oft ein Lächeln auf das Gesicht der Menschen, die einem begegnen. Die Maske – und die Corona-Zeit – steht unserer Nähe im Weg, aber das kann man überwinden.

Seelsorge braucht Begegnung und die dabei entstehende Nähe. Am Anfang stand die Angst vor der Ansteckung mit einer unbekannten und möglicherweise tödlichen Krankheit. Mit tödlichen Krankheiten hat Seelsorge ja nun öfter zu tun und auch Seelsorgende sind nicht frei von Angst, sich beim Kontakt mit infizieren Menschen selbst anzustecken und gefährliche Keime im schlimmsten Fall auch in die eigene Familie nach Hause mitzubringen. Aber bedrohlich und nicht einzuschätzen war am Anfang die Möglichkeit, andere zu infizieren, denen man im Krankenhaus begegnet, also beim Krankenbesuch dem Tumorpatienten auch noch einen Virus zu bringen oder durch eine Infektion für den Ausfall von möglicherweise erkrankten Stationsteams, gar auf Intensivstationen, ursächlich zu sein. Diese Vorsicht hat dann erst einmal dazu geführt, alle Besuche der Seelsorge im Krankenhaus einzustellen, Gespräche konnten nur in den Seelsorgeräumen geführt werden.

Wichtig wurde, zu verstehen, was Kontaktsperre im Krankenhaus für die Seelsorge bedeutet, was nun noch möglich und was verboten ist. Verantwortlich mit der Infektionsgefahr umzugehen, ist eigentlich etwas, was Mitarbeitenden in Kliniken vertraut ist. Dass Seelsorge im Krankenhaus für ihr hygienebewusstes Verhalten anerkannt ist, hat das Bemühen um seelsorgliche Nähe trotz Coronagefahr sicher erleichtert.

So wurden geeignete Räumlichkeiten in gut erreichbarer Nähe zur Corona-Station eingerichtet, wo Gespräche mit Ärztinnen, Psychologen oder Seelsorge möglich sind. Immer deutlicher kamen Situationen in den Blick, bei denen Seelsorge vor Corona als hilfreich erfahren wurde und die auch in Corona-Zeiten existierten:

im Seelsorgeschwerpunkt am Lebensanfang etwa die Begleitung von Müttern mit vorzeitigen Wehen und drohender Frühgeburt, deren Partner zunächst gar nicht, nach späteren Besuchsregeln nur zur Entbindung im Kreißsaal dabei sein durften.

Diese Situation für Patientinnen war noch schlimmer, wenn es um einen intrauterinen Kindstod mit Geburtseinleitung ging, was einige Tage dauern kann. Hier darf inzwischen der Partner die ganze Zeit dabei sein.

Schon vor Corona war zum Beispiel mit Eltern eines Kindes mit diagnostizierter Trisomie eine palliative Geburt geplant worden. Diese fand jetzt unter den Bedingungen der Kontaktsperre statt, trotzdem war in diesem Fall möglich, dass der Ehemann und auch die Geschwister für eine begrenzte Zeit die Mutter mit dem Kleinen besuchten.

Die Klinikseelsorge hat also Schritt für Schritt näher zu den Menschen im Krankenhaus gefunden. Dieses Bemühen um Trotzdem-Nähe wurden immer wieder angeregt durch den Erfindungsreichtum der Patienten und Angehörigen, die für sich ja – genauso wie Seelsorge – Gelegenheiten für Nähe und Begegnung gesucht haben bei gleichzeitigem Vermeiden von Infektionen. So hat etwa eine Schwangere, die mit drohender Frühgeburtlichkeit im Krankenhaus war, sich mit ihrem Mann vor der Klinik im dort geparkten Auto getroffen. Dieser und andere Angehörige haben sich in selbstgewählte Quarantäne begeben, um selbst möglichst einer Virenansteckung zu entgehen.

Besonders eindrücklich war der Bericht einer Mitarbeiterin nach ihrer Quarantänezeit, als deren Mann selbst schwer an Covid erkrankt war. Sie hat ihm die feuchten Wadenwickel vor die Türe des Zimmers gestellt, in der er in der Wohnung isoliert war und sich dann entfernt, ohne ihn zu sehen. Aber sie hat sich in den Garten vor das gekippte Fenster seines Zimmers gesetzt, um dort mit ihm zu sprechen.

Diese Erfindungsgabe kann ein Vorbild auch für Seelsorge sein. Wie viele Gespräche wären in dem Setting mit offenem Fenster doch auch im Kontext von Pfarrgemeinden möglich. Nähe ist möglich, wenn Liebe erfinderisch ist.

Wir haben nicht schon zu Beginn das Wissen um den richtigen Weg, aber die Hoffnung, dass es einen gibt.

Entscheidend dabei ist immer wieder, in einen Prozess einzutreten, in dem gemeinsam Möglichkeiten und Lösungen gefunden werden. Manchmal hat die Seelsorge einen praktikablen Einfall, oft aber können Seelsorgerinnen und Seelsorger von den Ideen der Kranken und Angehörigen lernen. Auf diese Weise ist Seelsorge ein gegenseitiger Prozess, einander beizustehen.

biographische Notiz:

Christoph Zimmermann-Wolf, Westerwälder, geb. 1959, Studium der katholischen Theologie bei Jesuiten in Frankfurt/Sankt Georgen und Dominikanern in Fribourg(CH). Promotion über Dietrich Bonhoeffer und Klinikseelsorge; Gruppendynamiker, Pastoralpsychologe und Supervisor (DGfP); Dipl. Lehrer für Rhythmus – Atem – Bewegung (Lehr- und Übungsweise nach H. L. Scharing). Klinikseelsorger in Neuwied/Rhein mit Schwerpunkt am Lebensanfang. Verheiratet, vier Kinder, Imker, isst und trinkt gerne etwas Gutes. christoph@remove-this.zimmermann-wolf.de



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